Hi ihr!

Ich nehme mir jetzt mal heraus, eine E-Mail über Polen (insbesondere Krakau) zu schreiben, obwohl meine Erfahrungen mit diesem Land noch sehr jungfräulich sind (bin ja gerade mal 14 Tage hier, in 4 Monaten wären meine Aussagen wahrscheinlich differenzierter).
Aber ich bin soviele Sachen per Mail gefragt worden, dass ich dachte, einfach mal meine Erlebnisse aus dem täglichen Leben aufzuschreiben.

Wenn es jemanden gar nicht interessiert, sollte er es am Besten auch nicht lesen, sonst kriegt er evtl. noch Depressionen :)

Wenn sich jemand angegriffen fühlt, einfach dran denken, dass es meine persönlichen Erfahrungen sind:-))

zur Info: Im Moment sind 4.2 Zl = 1 Euro

Der Durchschnittsverdienst in Polen liegt (laut meinem Reiseführer) bei 2000 Zl. Das ist ja ca. ein Drittel vom Deutschen schätze ich und das ist wichtig bei der Interpretation der folgenden Zahlen: Die Grundnahrungsmittel wie Obst, Eier, Wasser (man sollte das Leitungswasser hier nicht trinken), Brot kosten hier etwa 35 bis 70 % von dem was sie bei uns kosten. Jegliche Drogerieartikel gibt es in der polnischen Variante (drittel des deutschen Preises) und in der West-Variante (gleicher Preis wie bei uns).
Westliche Produkte (Danone, kraft, Nestlé, Dr. Oetker) kosten 80 bis 90 Prozent der deutschen Preise, sind also quasi unerschwinglich für Durchschnittsverdiener.
Wurst und Käse liegen bei etwa 60 % der deutschen Preise, kommt natürlich immer auf die Geschäfte und die Marke an.

Eine Monatskarte für Tram und Bus in ganz Krakau (700 000 Einwohner) für Erwachsene kostet 90 Zl, Benzin ca 85 % wie bei uns. Ein Auto zu haben ist also im Vergleich teurer als bei uns, weil die Alternative ÖNV hier günstiger ist.
2-Zimmer-Wohnungen im Hochhaus kosten 1200 Zl, da wohnen dann 3-4 Leute (Familie) auf 12 qm wohn=schlafzimmer + 9 qm kinderzimmer + 4 qm küche + 4 qm bad.
Da Festnetzanschluss recht teuer ist, haben viele Leute "nur" ein Handy, SMS 0,20 ZL und Anruf 0.80 Zl pro Minute. Interessanterweise laufen die Prepaidkarten nach einem Monat schon ab, was einem zu einem Mindestumsatz von ca. 25 Zl pro Monat zwingt. Internetcafe ca. 3 Zl pro Stunde. Bücher kosten ca. 60 % der deutschen Preise. Kleidung (Orsay...) und Accessoires kosten genau das gleich wie in Deutschland, unglaublich eigentlich, ich frage mich, wo man sonst einkauft (außer vielleicht bei Tesco, wo die Qualität und Preise der Kleidung mit der beim Walmart vergleichbar sind).

In Restaurants essen gehen kostet zwischen 5 Zl und 20 Zl pro essbarer Mahlzeit (untere bis mittlere Klasse, aber immer sehr lecker), Getränke kosten ca. 4 Zl im Restaurant, 0.5 L Bier 5 Zl. Döner kostet 5 bis 7 Zl, McDonalds Menü etwa 60 % vom deutschen Preis. Studenten kriegen für jeden Käse Rabatt, in vielen Restaurants 10 bis 50 Prozent.

Es gibt einige richtig beschissene Jobs, wie Verkäuferin im 24/7-Laden, Putzfrauen, die nur Trinkgeld erhalten und kein Gehalt oder Frauen, die davon leben, in Bürogebäuden selbstgeschmierte Sandwiches für 2 Zl zu verkaufen. Aber ich schätze, dass man über jeden Job hier froh ist, weil´s besser ist, als nichts zu haben.

Tja, wie sind sie nun, die Polen??

Wenn man den Leuten auf der Straße begegnet, nickt oder lächelt gerade mal ca. jeder zwanzigste, den man anschaut. Ein "Auf Wiedersehen" zu der Verkäuferin im Supermarkt wird selten erwidert, ein Bitte beim Türaufhalten gar nicht zur Kenntnis genommen. Auf den ersten Blick wirken die Leute also eher eingebildet und unfreundlich.

- Andererseits dann aber die 70-jährige Frau von nebenan, die man morgens im Fahrstuhl trifft und die einem in perfekten Englisch anspricht und erklärt, dass sie jeden morgen in die Kirche geht. Sobald man unten aus dem Haus ist, setzt sie ihr wieder Eis-Gesicht auf und wirkt unnahbar und abweisend.
- Dann sind die Verkäufer im Geschäft, die einen beim Versuch, ihre Sprache zu benutzen am liebsten rausschmeißen würden oder jegliche Konversation "Do you speak English?" - "Nie!!!!!" sofort abweisen, weil sie einfach völlig unmotiviert für Ihre Arbeit sind.
- Bettler auf der Straße, die, wenn man ihnen was zu essen gibt, es wirklich sofort essen, nicht wie bei uns es eine stunde später wegschmeißen (ok, das ist drastisch ausgedrückt...)
- Ich habe das Gefühl, dass viele hier auf den ersten Blick unhöflich erscheinen, aber wenn man versucht, sich Ihnen nicht umbedingt als Tourist, sondern als eifriger Immigrant zu begegnen, sind sie unheimlich hilfsbereit und manchmal auch ganz stolz auf Ihre Englisch-Kenntnisse. Die Leute, die über 40 sind, haben in der Schule nicht zwangsläufig Englisch, sondern Russisch gelernt, dafür haben Sie es voll drauf, mit Gesten zu erklären und freuen sich, wenn am Schluss der Kunde zufrieden ein "Dziekuje"(=Danke) rauskriegt. Wenn man wichtigsten Satz "Ich verstehe kein Polnisch" gut aufsagen kann, hat man schon halb gewonnen.
- Eine wichtige Rolle spielt auch die Religion. In vielen Schaufenstern (sogar von Lebensmittelhändlern) hängen Bilder vom Papst, vor den Kirchen brennen viele Kerzen und wer Sonntags Wäsche im Trockenraum aufhängt, wird seltsam angeschaut. Allerseelen ist ein wichtiges Familienfest und deshalb habe ich morgen frei *freu*

Also, wenn man mal so rechnet, was die Leute hier verdienen und was sie für Ausgaben haben, versteht man, warum sie nicht singend und tanzend über die Straße hüpfen. Ich als verwöhnte Deutsche würde die Leute hier als arm bezeichnen und tatsächlich lebt laut meinem Reiseführer jeder zweite Pole an der von der EU-definierten Armutsgrenze.

Nachdem ich die Stadt in den ersten Tagen ja absolut hässlich und furchtbar fand, habe ich inzwischen einiges von ihren charmanten Ecken kennengelernt. Überall gibt es Parks, in denen man den goldenen Herbst (das Wetter hier war zwei Wochen lang phänomenal, blauer Himmel, 15 Grad) genießen kann, auf dem Marktplatz überall Musiker, viele hübsche Straßencafés in der Innenstadt.... Die Leute, die man dort trifft, reden eher mal englisch als polnisch, aber solange sie ihr Geld da lassen, freut man sich in den Restaurants natürlich auf sie :)
Die Stadt ist schon seit über 25 Jahren Unesco-Weltkulturerbe (absolut verständlicherweise, wenn man die große Anzahl von Kirchen etc. betrachtet), man ist also auf Touristen eingestellt und die Innenstadt lebt von Ihnen.

So, das war mein kurzer philosophischer Ausflug, bin wieder gelandet und schlafe jetzt mal ne Runde *g*

Schreibt mir ruhig zurück, ich freu mich!

Viele Grüße,
Manuela

PS: In der nächsten Mail gibt´s dann endlich was über meine Praktikumsstelle, aber nicht vor nächstem Wochenende vermutlich.